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Team 2020/21

Das Freiburger Jessup Team 2020/2021 bestand aus Clara Werra, Philipp Beckmann, David Owzar und Lucas Benedict Keller. Coaches waren Friedrich Arndt, Helen Scholz und Friederike Utsch. Das Team erreichte bei den virtuellen German National Rounds Ende Februar 2021 den vierten Platz. Bei den virtuellen Global Rounds zog es in die Runde der besten 48 Teams weltweit (aus circa 560 Teams) ein. Zudem erreichten zwei Sprecher*innen Wertungen in den Top 40 der Internationalen Vorrunden (aus über 2000 Sprecher*innen).

Erfahrungsbericht


 Erstes Teamfoto

Das Jessup Team 2020/21 bestehend aus Lucas Benedict Keller, David Owzar, Clara Werra und Philipp Beckmann (v.l.n.r.). 

Bewerbungsphase und Crashcourse

Warum sollte ich an einem Moot Court teilnehmen? Noch dazu während einer Pandemie, unter Corona-Bedingungen, ohne andere Teams kennenzulernen?

Diese Frage stellten wir Teammitglieder uns an ganz unterschiedlichen Stadien des Studiums: noch frisch in Freiburg im zweiten Semester, als Studienortwechsler, nach dem Erasmus oder am Ende des Hauptstudiums. Auch unsere Motivationen waren unterschiedlich: Begeisterung für Völkerrecht, Lust, uns besonders zu herauszufordern, der Wunsch, neue Menschen kennenzulernen.

Bevor all das Wirklichkeit werden konnte, mussten wir uns dem Bewerbungsverfahren stellen. Mit kurzer Vorbereitungszeit bekam jede*r Kandidat*in die Aufgabe, einen Auszug eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs zu präsentieren. Die ausgewählten Stellen behandelten je eine spezielle Rechtsfrage, über die wir auf Englisch via Zoom vor einer sechsköpfigen Jury aus Coaches und Alumni sprechen mussten. Aufregung auf einem ganz neuen Niveau – während des normalen Studiums gibt es ja kaum mündliche Vorträge. Während dieser 10 Minuten erfuhren wir auch zum ersten Mal, wie ein typischer Jessup-Fragenhagel während des Vortrags aussieht. Dabei kam es nicht darauf an, alles perfekt zu beantworten, sondern spontan zu reagieren und unsere Meinung zu verteidigen. Vorkenntnisse im Völkerrecht waren dabei nicht nötig. An einem anderen Tag folgte dann ein deutlich entspannteres persönliches Bewerbungsgespräch.

Nach der Zusage lernten wir uns, die Coaches und Alumni im Biergarten kennen – zumindest zu Beginn des Moot Courts waren soziale Aktivitäten dank „Corona-Sommerloch“ möglich. Bevor dann die eigentliche Arbeit am Fall beginnen konnte, bekamen wir von Coaches und Alumni noch einen Völkerrechts-Crashkurs. Dabei wurden in acht Einheiten über vier Wochen verteilt Grundlagen des Völkerrechts besprochen – Rechtssubjekte, Rechtsquellen, die UN, Staatenverantwortlichkeit. Zu jedem Thema erhielten wir einen umfangreichen Reader mit zahlreichen Aufsätzen, Urteilen und Lehrbuchauszügen auf Englisch. Dass wir im Sommer nicht gleichzeitig in Freiburg waren, störte nicht – Zoom sei Dank. So konnten Hausarbeiten und Praktika nebenher absolviert werden. Vom im Crash Course gewonnen Basis-Verständnis für Völkerrecht profitierten wir enorm während der Schriftsatzphase – bei all den Detailproblemen des Jessup-Sachverhalts lohnt es sich, die Struktur des Völkerrechts schon zu kennen, und dank des Kurses waren wir alle auf demselben Stand.

 

Schriftsatzphase

 Am 11. September wurde es dann ernst. Der 17-seitige Sachverhalt (Case concerning the J-VID-18 Pandemic) wurde veröffentlicht. Zwar waren einige von uns zu diesem Zeitpunkt noch im Praktikum, jedoch verbrachten wir die nächsten Tage damit, den Sachverhalt gründlich zu studieren und erste Probleme zu identifizieren. In den vier Claims des Falls ging es um Einreisebeschränkungen wegen einer Pandemie, die Rechtmäßigkeit diplomatischen Asyls, die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und den Abschuss eines Flugzeugs.

Jessup 2021 Poster

Wir teilten die Claims nach Interesse und persönlichen Vorlieben untereinander auf und fingen an, erste Argumentationslinien für unsere jeweilige Seite zu entwickeln. Jedes Teammitglied beschäftigt sich im Laufe des Jessup mit zwei der vier Claims und schreibt jeweils aus Sicht entweder des Klägers oder des Beklagten. Anfangs war das ein ziemlich planloses Unterfangen, da die meisten von uns keine wirkliche Ahnung hatten, wie ein Schriftsatz („Memorial“) für den Jessup aussehen muss und was wir überhaupt tun sollten. In den ersten beiden Wochen arbeiteten wir uns zunächst in die Problemfelder ein und erstellten Gliederungen, die wir immer am Samstagabend den Coaches schickten. Die Coaches hatten sonntags das Vergnügen, unsere Ergebnisse zu korrigieren, bevor wir am Montag gemeinsam die Ergebnisse besprachen und die kommende Woche planten. Unsere ersten richtigen Schriftsatzentwürfe waren beinahe ausnahmslos viel zu lang und ausführlich, so dass wir prompt ein striktes Word Limit bekamen. Das führte dazu, dass wir den Samstagabend (bald eher die Samstagnacht) stets damit verbrachten, unsere Memorials zu kürzen.

Schriftsatzphase

Nach vier Wochen hatten wir dann jeweils alle einen brauchbaren Schriftsatz für unseren ersten Claim und wechselten zu unserem zweiten Claim. Gleichzeitig führten die zunehmenden Corona-Fallzahlen dazu, dass es schwieriger wurde, uns persönlich zu sehen. In unserem Büro führten wir schließlich ein Schichtsystem ein. Während dieser Phase tauschten wir uns mehrfach mit dem Lehrstuhlteam von Frau Professorin Vöneky aus, wodurch wir wertvolle Anregungen erhielten. Langsam nahm auch der Stress zu, da wir für den zweiten Claim nicht so viel Zeit hatten wie für den ersten Claim. Spätestens jetzt gingen unsere Samstage regelmäßig voll für den Jessup drauf. Die langen Abende und Nächte, die wir an unseren Schriftsätzen verbrachten, führten aber auch dazu, dass wir uns persönlich besser kennenlernten. Außerdem begannen die Coaches mehr Wert auf eine einheitliche Zitierweise in den Fußnoten zu legen. Wir ernannten ein Teammitglied zum „Citation Master“, der von da an eine einheitliche Zitierweise für alle Quellen entwickelte.

Obwohl der Zeitdruck nun stetig zunahm und soziale Aktivtäten noch durch Corona erschwert wurden, fanden wir manchmal auch Zeit uns mit den Alumni wie hier beim Adventstreffen auszutauschen:

Adventsmeeting

Anfang Dezember gaben wir dann unseren zweiten Claim an die Alumni und bekamen das Feedback zu unserem ersten Claim. Eine Damit begann der vermutlich anstrengendste Teil der Schriftsatzphase: die Korrektur und Finalisierung der Schriftsätze. Diverse Argumente hatten die Alumni nicht überzeugt, manches war zu ausführlich, anderes zu kurz und viele offene Punkte mussten noch recherchiert werden. Zwei Tage vor Weihnachten konnten wir dann die überarbeiteten Schriftsätze wiederum an die Alumni geben und uns ein paar Tage erholen. Nach einer kurzen Weihnachtspause ging es noch im Dezember aber auch wieder los und wir bekamen das Feedback der Alumni. Danach hatten wir noch etwa 10 Tage Zeit, die Schriftsätze zu finalisieren und abzugeben. Am 6. Januar war es dann soweit: nach einer langen Nacht konnten wir ein paar Stunden vor der Deadline die Schriftsätze abgeben.

 

Mündliche Phase

Nach einer kurzen Verschnaufpause hieß es dann mindestens sechs Mal wöchentlich:

„All Rise! The International Court of Justice is now in session.”

Zwei Monate lang übten wir, die Argumente aus unseren Schriftsätzen vor einer simulierten Richterbank vorzutragen. Ein solches „Pleading“ dauert 90 Minuten. Jede Seite hat jeweils 45 Minuten Zeit, die Richter von ihren Argumenten zu überzeugen. Während des Pleadings wird der Vortragende oft mit Fragen und Anregungen der Richterbank konfrontiert. Hierdurch soll nicht nur die materielle Argumentation an sich, sondern auch das Zeitmanagement, die Haltung und Gestik sowie die Rhetorik der Sprecher*innen auf Herz und Nieren geprüft werden. Unsere Coaches versuchten uns hierbei auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten: so mussten wir unter anderem die andere Seite vertreten oder in einem Rhetorikworkshop bestimmte Atemübungen trainieren, um Argumente prägnanter darstellen und betonen zu können.

Da wir das erste Freiburger Team waren, das ausschließlich online plädieren musste, waren Meinungsverschiedenheiten zum angemessenen Verhalten und Auftreten über Videokonferenzen vorprogrammiert: Mal war das Mikro zu nah, die Kamera zu fern oder der Hintergrund zu dunkel. Nach vielen schlaflosen Nächten hatten wir – Dank sei unserem Headcoach – jedoch ein Setup, das, so viel sei vorweggenommen, von den Richtern in den Global Rounds sehr gut aufgenommen wurde und ein besonderes Lob erhielt.

Pleadingsetup

Die Rolle der Richter eines Pleadings nahmen abwechselnd jeweils drei bis fünf Jessup Alumni der Universität Freiburg ein. Durch eine im Anschluss stattfindende Feedbackrunde mit den Richtern wurde jede einzelne Präsentation akribisch analysiert und strittige Aspekte diskutiert. Hierdurch bot sich für uns die Gelegenheit, viele ehemalige Teilnehmer besser kennenzulernen und von deren Erfahrungen zu lernen.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit der Überarbeitung unserer Vorträge, dem Nachschlagen von Urteilen oder dem Anlegen eines Skripts – vorausgesetzt, wir waren nicht damit beschäftigt, Schlaf aus der Schriftsatzphase nachzuholen. Ein solches Skript beinhaltet neben dem Sachverhalt und den Vertragstexten so ziemlich jedes Urteil oder Dokument, das von Relevanz sein könnte und umfasst gut und gerne 500 Seiten.

Zwei Wochen vor Beginn der German National Rounds durften wir als Generalprobe vor renommierten Anwälten von internationalen Großkanzleien wie Shearman & Sterling oder White & Case pleaden. So aufregend und herausfordernd diese Generalproben auch waren, die Vorteile überwogen eindeutig: Die Anwälte hatten oftmals langjährige Jessup-Erfahrungen und konfrontierten uns mit neuen Fragen und Herangehensweisen an die juristischen Fragestellungen, wodurch wir nochmals sehr viel lernten.

Kanzleipleading Shearman

Darüber hinaus bot sich für uns im Anschluss die Gelegenheit, bei einem von der Großkanzlei organisierten Gin Tasting Anwälte aus der ganzen Welt kennenzulernen und uns mit ihnen auszutauschen.

 

German National Rounds

Dann kam endlich der Tag der Tage: Ende Februar begannen die German National Rounds. Diese finden immer an einem Wochenende von Donnerstag bis Samstag statt. Eigentlich hätten sie in Nürnberg abgehalten werden sollen, aber dieses Jahr war alles digital. Allerdings hatten die Organisatoren eine Plattform organisiert, auf der man sich trotzdem mit den anderen Teams vernetzen und austauschen konnten.

Am Mittwochabend erfuhren wir unsere Gegner und lasen deren Schriftsätze zur Vorbereitung. Zwar kannten wir die gegnerischen Argumentationslinien nach unserer monatelangen Beschäftigung mit dem Sachverhalt. Trotzdem feilten wir in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch an vielen Argumenten und polierten unser Quellenwissen. In den Vorrunden am Donnerstag und Freitag traten wir gegen starke Teams aus Berlin, Heidelberg und Münster an. Am Freitagabend dann hieß es zittern: Hatten wir es unter die besten acht von sechzehn Teams, also ins Viertelfinale geschafft? Das erste Team wurde verlesen und es waren wir – Team 268. Am Samstag fanden dann die Finalrunden statt.

GNR Viertelfinale

Nach einem Sieg im Viertelfinale gegen eine Universität aus Hamburg schieden wir knapp im Halbfinale gegen Berlin aus.

GNR Halbfinale

Wir waren unfassbar stolz und froh. All die harte Arbeit hatte sich gelohnt. Wir durften unsere Pleadings vor Richtern vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Bundesverfassungsgericht, vor vielen Professoren und Praktikern halten. Das war ein tolles Gefühl und Belohnung für die monatelange Arbeit.

GNR Teamfoto KG 1

Global Rounds

Normalerweise fahren nur die besten Teams eines Landes nach Washington, um in den International Rounds anzutreten. Dies hat vor allem Kapazitätsgründe: Der Jessup ist weltweit der größte Moot Court mit ca. 600 teilnehmenden Teams, die unmöglich alle in Washington untergebracht werden können. Dieses Jahr wurden aufgrund des digitalen Formats erstmals Global Rounds ausgerichtet, an denen jedes Team teilnehmen konnte. So bekamen wir die einmalige Gelegenheit, über fünf Wochen virtuell gegen Teams aus Afghanistan, Russland, Indien, China, Kolumbien, Australien, Ungarn, den USA, Frankreich und Thailand anzutreten. So lernten wir Menschen aus der ganzen Welt kennen, die sich wie wir das letzte halbe Jahr mit dem Jessup Problem auseinandergesetzt hatten – oft in völlig anderen gesellschaftlichen Umständen als wir Deutsche.

Über mehrere Wettbewerbsstufen (Exhibition, Preliminary, Advanced und Elimination Rounds) schafften wir es unter die besten 48 von 571 Teams weltweit, was wir immer noch nicht ganz glauben können.

 Global Rounds Top 48 Teams

Zudem belegte Clara den 38.....

Individual Oralists Clara

und Lucas den 17. Platz der besten Sprecher*innen der Preliminary Rounds von insgesamt über 2.000 Sprecher*innen.Individual Oralists Lucas

Danksagungen

Nun wollen wir von Herzen allen danken, die uns auf unserem Weg in den virtuellen Gerichtssaal unterstützt haben. Vor allem betrifft das unsere Coaches Friedrich Arndt, Helen Scholz und Friederike Utsch. Wie viel ihr trotz Corona für uns getan habt, ist einfach nicht in Worte zu fassen. Zudem bedanken wir uns bei den Jessup-Alumni und dem Lehrstuhl von Professorin Vöneky für die Unterstützung während des Wettbewerbs.

Besonderer Dank gilt White & Case und Shearman & Sterling für die hilfreichen Probepleadings und den guten Gin.

Wir freuen uns darauf, als Alumni die nächsten Freiburger Jessup-Teams zu begleiten. Dem nächsten Team wünschen wir gutes Durchhaltevermögen, ganz viel Spaß und tolle Erlebnisse, an die Ihr Euch immer erinnern werdet.